Bai­en­furt tut sich schwer mit Denk­mal für Nazi-Op­fer

Kontroverse Debatte im Gemeinderat - Es bleibt beim Klangstein von Andreas Knitz - "Fast eine Performance"

 Von Siegfried Kasseckert September 2017
Das Denkmal "Klangstein" am künftigen Standort vor dem Rathaus in Baienfurt mit Mitgliedern des Arbeitskreises "Denkmal für NS-Opfer"  Foto: privat

Baienfurt - Selbst 72 Jahre nach dem Ende des Dritten Reiches tun sich viele Städte und Gemeinden immer noch schwer, ihre nationalsozialistische Vergangenheit aufzuarbeiten. Baienfurt ist ein Musterbeispiel und kein rühmliches. Zwar hatte der Gemeinderat schon im März den Künstler und Architekten Andreas Knitz damit beauftragt, zum Gedenken an die zehn Opfer des Nationalsozialismus in der Gemeinde ein Denkmal in Form eines bronzenen Klangsteins zu schaffen. Doch als es jetzt im Gemeinderat um den Standort und eine erläuternde Bronzetafel ging, brachen die alten Gegensätze wieder auf

Im Foyer des Rathauses war das Original des Klangsteins zu sehen, der inzwischen von der Innsbrucker Glockengießerei Grassmayr hergestellt worden ist. Schon im März hatte der Gemeinderat mit großer Mehrheit beschlossen, den in Baienfurt geborenen Andreas Knitz, der vor Jahren zusammen mit einem Kollegen das Konzept für den grauen Bus an der alten Pforte des Zentrums für Psychiatrie in Weißenau entworfen hatte, mit der Schaffung des Baienfurter Denkmals zu beauftragen. Gesamtkosten: rund 30 000 Euro. Sein Honorar bezifferte Knitz damals auf lediglich 4280 Euro. Inzwischen hat ein Arbeitskreis unter Vorsitz von Uwe Hertrampf, der nicht nur Baienfurter Gemeinderat (G+U), sondern als Nachfolger von Professor Wolfgang Marcus auch Vorsitzender des Denkstätten-Kuratoriums NS-Dokumentation Oberschwaben ist, wichtige Vorarbeit geleistet. Das Gremium, dem auch der Bürgermeister, der Künstler Knitz, Gemeinderäte und Angehörige von Opferfamilien angehörten, schlug als Standort des Denkmals den Platz beim Ahorn zwischen Rathaus und Gemeindehalle vor und empfahl, auf die ursprünglich vorgesehenen Stolpersteine zu verzichten und statt ihrer im Boden ein Platte zu verlegen, die an die zehn NS-Opfer erinnert (Text siehe Kasten) Am Sonntag, 5. November, um 15 Uhr soll das Denkmal eingeweiht werden

Keine einstimmige Entscheidung

Das alles wurde jetzt vom Gemeinderat beschlossen, wenn auch bei Weitem nicht einstimmig, wie in Baienfurt sonst eher üblich. Die Kontroverse begann, als CDU-Gemeinderat Christof Kapler einmal mehr als Standort des Denkmals den Rasen beim Rathaus in Nachbarschaft der Parkplätze vorschlug und Richard Birnbaum (FWV) sogar das Denkmal insgesamt infrage stellte; Birnbaum machte sich lediglich für eine Gedenktafel stark. Auch sein Fraktionskollege Otto Weiß plädierte für die Gedenktafel. Diese Lösung hatte freilich schon im März keine Ratsmehrheit gefunden.

Es entspann sich hernach eine Debatte über die Gefahren, die dadurch entstehen könnten, dass Kinder und Jugendliche über den Gedenkstein fahren (Artur Kopka, CDU). Was Bürgermeister Günter A. Binder für irreal hielt ("so viel Pietät hat sicher jeder"). Binder erinnerte den Gemeinderat aber auch daran, dass man demokratische Entscheidungen (wie die vom März 2017) tolerieren müsse. Brigitte Wölk (SPD), die wesentlich beteiligt war an den Recherchen über Baienfurter Nazi-Opfer, meinte: "72 Jahre nach dem Krieg muss man sich endlich einmal mit unserer Vergangenheit beschäftigen."

Ulrich Mützel (CDU) plädierte wie Kapler für die Rasenfläche, Andrea Arnhold und Toni Stärk (beide CDU) für den Standort beim Ahor. Arnhold: "Wenn's am Rand steht, dann stolpert man nicht darüber." Man solle darüber aber "stolpern".

Andreas Knitz, sichtlich frustriert, nannte die Ratsdebatte "fast eine künstlerische Performance"=2E Manche Leute hätten am liebsten eine flache Gedenkplatte am Boden, im Gras, die keiner mehr sehe. Wichtig für ihn sei, dass dieses Denkmal eine starke Debatte hervorrufe. Im Übrigen sei das Denkmal hundertprozentig stabil=2E Und selbst Uwe Hertrampf meinte, wenn sich der Standort nicht als geeignet erweise, könnte man ihn später immer noch ändern. Der Bürgermeister resümierte zum Schluss: "Das war eine sehr gute Debatte."